Rheiderland Zeitung / Bunderhee - 10. Oktober 2020
Lebenserinnerungen eines Grenzgängers: Ahlrich Wilhelm Bents zwischen Ächtung und Achtung
Wer er wirklich war, wussten nur wenige. In den Niederlanden hielt sich Ahlrich Bents während des Zweiten Weltkriegs versteckt. Er wurde zum Grenzgänger wider Willen und musste nicht nur Grenzen zwischen Ländern überwinden. Ein neues Buch erzählt seine Geschichte. Ahlrich Wilhelm Bents feierte gestern seinen 87. Geburtstag. Der Bunderheester bekam als besonderes Präsent das erste Exemplar seiner Biographie. Detlef M. Plaisier aus Westrhauderfehn hat sich mit dem Rheiderländer im Rahmen seiner Kronzeugen-Interviews ausgetauscht und ist mit ihm auf eine wechselhafte Zeitreise gegangen. »Grenzgänger« heißt das Buch, das diese Lebensreise erzählt.
Ob als langjähriger Ortsvorsteher oder stellvertretender Bürgermeister von Bunderhee: bekannt ist Bents vielen in Bunde und Umgebung durch sein kommunalpolitisches Engagement (man sah ihn vor Corona immer wieder im Zuschauerraum des Rates sitzen). Auch als Hobbykünstler war »Willy« regelmäßiger Gast auf Ausstellungen. Wenige aber kennen seine wahre Geschichte, die er jetzt zum ersten Mal ausführlich erzählt hat. Ahlrich »Adrie« Bents war ein Grenzgänger wider Willen: vor den Nazis versteckt, erlebte er auch im niederländischen Nachbarland zunächst Ächtung und Ausgrenzung - und fand späte Versöhnung.
Ahlrich Wilhelm wird am 9. Oktober 1933 als Sohn von Hindertje und Cornelius Bents geboren und wächst in Emden auf. Die Familie zieht bald nach Wilhelmshaven, wo der Vater als Schlosser auf einer Werft arbeitet. Bei der Familie lebt auch der Großvater Henderikus, der zuvor in Bellingwolde gelebt hatte. Vater Bents ist ein leidenschaftlicher Sozialist und SPD-Mitglied. Dadurch gerät er schnell ins Visier der NS-Machthaber, wird zeitweise sogar festgenommen.
Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wird die Lage noch schwieriger für die Familie Bents. Die Beerdigung des Großvaters 1942 in Weener soll eine schicksalhafte Wendung für den jungen Ahlrich bringen: Er lernt dort Tante und Onkel aus Bellingwolde kennen und man findet sich auf Anhieb sympathisch. Aus einem anfänglichen, dreimonatigen Urlaub bei den Verwandten sollen daraufhin mehrere Jahre werden. Der Vater beschließt, seinen Sohn vor den Nazis und den immer heftiger werdenden Kriegshandlungen in Wilhelmshaven zu schützen: Ahlrich taucht in den Niederlanden unter und wird von seinen Verwandten versteckt, die zu seinen Pflegeltern werden. Er besucht hier ganz normal die Bellingwolder Oosterschool, doch seine Mitschüler meiden und hänseln ihn. Der »oude Mof« wird er genannt. Als auch Bellingwolde gegen Ende des Krieges Ziel alliierter Bombenangriffe wird, richtet sich die Wut der Mitschüler gegen ihn. »Aber trotz aller Kränkungen und Beleidigungen ging ich gerne in die Schule«, erinnert sich Bents. Seine wahre Herkunft und warum er in den Niederlanden untergetaucht ist, kennt keiner.
Alles ändert sich mit dem Ende des Krieges: Das Geheimnis von Ahlrichs Herkunft und Identität wird gelüftet und damit erfahren auch alle, dass seine Eltern nie mit den Nazis im Bunde standen, sondern vor dem NS-Regime versteckt worden war. Der zwölfjährige Junge wird jetzt offizieller Bürger von Bellingwolde und auch die Kinder in der Schule akzeptierten ihren »Adrie«, wie er genannt wird. »Ich war auferstanden!«, beschreibt Bents seine Erleichterung.
Sein neues Leben in den Niederlanden packt er mit beiden Händen und engagiert sich vielfach. Er wird Mitglied der Jungsozialisten und im Christlichen Verein Junger Menschen (CVJM), spielt Theater und ist begeisterter Fußballer. Erst ab 1950 fasst er die Rückkehr in seine alte Heimat ins Auge und verlässt seine Pflegeeltern. Er zieht zunächst nach Wilhelmshaven zu seinen Eltern, dann schon bald nach Bunderhee, wo seine junge Liebe Sara Nachwuchs erwartet. Eine Tochter und ein Sohn werden dem Paar geschenkt. Beruflich ist er als Straßenbauer aktiv - der »Grenzgänger« schafft damit auch auf diese Weise Verbindungen zwischen Orten und Menschen.
Ab 1962 begann Ahlrich damit, Tagebuch zu schreiben. Über 400 Hefte sind bereits mit seinen Lebenserinnerungen gefüllt. Das Buch »Grenzgänger«, das in Deutsch und Niederländisch erscheint, enthält viele dieser Erinnerungen. Aber eben nicht alle. Zu Lebzeiten möchte der Wahl-Rheiderländer diese Memoiren aber noch nicht veröffentlicht wissen. »Also erst 2050«, lacht der 87-Jährige.
Detlef M. Plaisier stellte Rheiderländer Geschichten in Bunde vor / Ungehörten Biografien Gehör verschaffen
Im März 2017 veröffentlichte der Journalist Detlef M. Plaisier aus Rhauderfehn sein Buch »Bubis Kinnertied«, in dem er die Kindheit und Jugend seines Vaters in der NS-Zeit aufarbeitete. Die Resonanz war groß, denn viele Zeitzeugen traten bei Lesungen mit ihren eigenen Geschichten an den Autor heran.
Und so entstand die Idee, diese bisher ungehörten Biografien zu sammeln und öffentlich zu machen. Finanzielle Hilfe bekam Plaisier dabei von der Stabsstelle Ehrenamt des Landkreises Leer. In einem Zeitungsaufruf wurden sowohl Geschichtenerzähler als auch freiwillige Interviewer gesucht und gefunden. In insgesamt 2190 Minuten wurden daraufhin 27 Männer und Frauen zwischen 74 und 100 Jahren aus dem gesamten Landkreis Leer zu ihrem Leben befragt und die Ergebnisse in dem Buch »Eine Geschichte der Ältesten« zusammengefasst.
Mittlerweile sind 1000 Ausgaben in dem von Detlef M. Plaisier gegründeten Verlag »e(D)ition Kronzeugen« erschienen. Darin finden sich auch fünf Geschichten von Rheiderländern. Und ein Teil davon war auf Einladung des Vereins »Open Dören« Inhalt einer Lesung am Freitagabend im »Haus der Begegnung« in Bunde.
Der Ort war nicht ganz zufällig gewählt, denn zwei der interviewten Rheiderländer sind seit vielen Jahren eng mit dem Gebäude und vor allem mit dem Verein (ehemals Verein für Körperbehinderte) verbunden: Edith Huisinga und Jan-Dieter van Hoorn. Und so sind auch deren Biografien eng mit der ehrenamtlichen Arbeit im Verein verknüpft, aber sie erzählen auch vom Leben in der Nazi-Zeit wie etwa von der kleinen Edith, die 1945 Hals über Kopf ihre Heimat in Ostpreußen verlassen musste und mit ihrer Familie in Bunde landete. Oder dass Jan-Dieter van Hoorn seinen Vater erst mit neun Jahren kennenlernte, da dieser in russische Gefangenschaft geraten war. Aber die Geschichten erzählen auch vom Leben in der Grenzgemeinde, von Familie, Nachbarschaft, Beruf und Freundschaft.
Genauso wie die Erzählungen von Adele Hetzke aus Jemgum, die aus einer Müllerfamilie aus Backemoor stammt. Die Mühle wurde im Krieg zerstört, aber wieder aufgebaut. Als Erwachsene zog Adele gemeinsam mit Ehemann Knut nach Jemgum und natürlich ist hier die Mühle noch immer ihr Lebensmittelpunkt und mit vielen schönen Erinnerungen und Erlebnissen verknüpft.
Weniger schöne Erinnerungen bestimmen das Interview mit Franz Marheineke. Denn hier nimmt die Verfolgung der Juden, insbesondere die unmenschlichen Transporte von Westerbroek über Weener nach Auschwitz eine große Rolle ein. Geschichten, die bisher ungehört waren - aber denen durch Detlef M. Plaisier nun Gehör verschafft wurde. In seinem nächsten Projekt möchte sich der Autor übrigens Geschichten über Flucht anhören, denn bei der Suche nach Zeitzeugen wurde klar, dass es da auch nach über 70 Jahren immer noch viel Ungehörtes gibt.
Weitere Informationen zum Autor und zu seinem Buch gibt es im Internet unter www.detlef-plaisier.de.
Mirco von Maydell befragt mich zu meiner Arbeit, meinem Umfeld und meinen Plänen:
Beim nächsten Idafehntjer Backtag, der am kommenden Sonntag, 28. Januar, stattfindet, gibt es erstmals im neuen Jahr wieder frisches Mühlenbrot und Krintstuten. Gebacken werden die Leckereien von Mühlenbäcker Stephan Czesnik im Steinofen des Galerieholländers in den frühen Morgenstunden. Die Brote können ab etwa 10.30 Uhr von den Besuchern erworben werden. Die Frauen des Hausfrauenvereins Idafehn sorgen zudem am Nachmittag mit Tee, Kaffee und leckerem selbstgebackenen Kuchen wieder für das leibliche Wohl der Mühlengäste, heißt es in einer Ankündigung.
Im Rahmen des Backtages wird im Packhaus der Mühle Idafehn die Ausstellung „Landmarken“ eröffnet. Detlef M. Plaisier zeigt rund 40 vergrößerte Reproduktionen aus seiner Postkartensammlung, die rund 11 000 Exemplare umfasst. „Landmarken“, das sind Mühlen, Brücken und Leuchttürme von drei Kontinenten, die nicht nur der Orientierung dienen, sondern auch durch besondere architektonische Gestaltung die Menschen faszinieren.
Detlef M. Plaisier ist freier Journalist und Buchautor in Rhauderfehn und im Emsland. Er unterstützt ehrenamtlich die Hahnentanger Mühle Westrhauderfehn. Besucher sind willkommen, einen Rundgang durch die Räume zu unternehmen.
Hahnentange - Der Mühlenverein Hahnentange hat zu wenige ehrenamtliche Helfer. Zwar gibt es 610 Mitglieder – doch nur rund 25 von ihnen engagieren sich freiwillig bei Veranstaltungen. „Und das sind meistens noch die Gründungsmitglieder“, sagte Pressewart Detlef Plaisier im Gespräch mit dem General-Anzeiger. Die älteste aktive Helferin sei 83 Jahre alt.
Der Verein aus Hahnentange besteht seit dem Jahr 1991. Er kümmert sich um die Instandhaltung der Mühle und des Müllerhauses, in dem ein Kunsthaus, eine Backstube und ein Versammlungsraum untergebracht sind. Jeden Sonntag öffnen die Mitglieder die Teestube im Versammlungshaus, bei Veranstaltungen wird gebacken. Und nicht nur das: Zu den regulären Öffnungszeiten bietet der Verein an Pfingsten ein Mühlenfest, im Herbst ein Erntedankfest und zu Weihnachten Märkte an. Dazu kommen Trödel- und Handwerkermärkte. „Wir haben eine wichtige kulturelle Aufgabe“, sagte Plaisier. Die Mühle sei ein Wahrzeichen von Westrhauderfehn – und damit das so bleibt, müsse man dafür auch etwas tun. „Dass das etwas Besonderes ist, vergessen viele Menschen.“ Leute von außerhalb hingegen wüssten diese Besonderheit sehr zu schätzen, sagt Plaisier.
„Trotz wiederholter Aufrufe melden sich keine jungen Menschen, um den Verein zu unterstützen“, so Frank Thiel, 1. Vorsitzender. Viele besuchten die Veranstaltungen, doch gehe es darum, Aufgaben zu übernehmen, täten sich die Besucher schwer. Die Organisation der Events wollten die meisten nicht übernehmen. Die Situation spitze sich außerdem zu, weil viele der Gründungsmitglieder sich nun langsam aus ihrem Ehrenamt zurückzögen. „Es ist alarmierend“, so Thiel. Nicht nur für die Hahnentanger, sondern auch die umliegenden Mühlenvereine stehen laut dem Vorsitzenden vor diesem Problem.
Aus diesem Grund haben sich die Vereine, die sich um die Mühlen in Rhauderfehn, Ostrhauderfehn und Papenburg kümmern, zusammengetan: Vorgesehen sind regelmäßige Treffen und Terminabsprachen. „Wir wollen außerdem unsere Ehrenamtlichen bei Veranstaltungen austauschen“, so Thiel. Sollte sich die Situation mit den Ehrenamtlichen nicht ändern, muss der Verein sein Programm einschränken. „Ob alle Märkte im kommenden Jahr stattfinden, können wir noch nicht sagen“, kündigte Pressewart Detlef Plaisier an. Auch die Öffnungszeiten der Teestube könnten sich verändern. Dennoch hoffe er, dass es nicht soweit kommt. Eins sollten die Leute nach seiner Ansicht erkennen: „Ehrenamt macht Spaß!“
Vielen Dank für das Interview an Martina Sevecke-Pohlen vom Wieken-Verlag Rhauderfehn!
Nicht zwischen Wieken und Wullgras, sondern zwischen Tee und Krintstuut im Fehn- und Schiffahrtsmuseum Rhauderfehn war die Lesung des Autors und Herausgebers Detlef M. Plaisier. Gelesen wurde aus “Bubis Kindertied” – den Erinnerungen des 2006 verstorbenen Fehntjers Artur Plaisir in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts.
Von den einleitenden Worten direkt ins Buch, dieser Kunstgriff gelingt dem Autor bei der Lesung. Dabei sind es nicht seine Memoiren, sondern die Aufzeichnungen des 2006 in Hannover verstorbenen Fehntjers Artur Plaisier, die als Manuskript im Nachlass gefunden wurden. Aufgearbeitet, mit viel Bildmaterial und Fußnoten zur Erklärung versehen bietet es heute die Erinnerung an längst vergangene Zeiten, an das knisternde Feuer im Ofen, als die Großeltern aus ihren Jugendtagen erzählten.
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General-Anzeiger: Herr Plaisier, Sie haben ein Buch über die Lebensgeschichte Ihres Vaters in Westrhauderfehn geschrieben. Wieso?
Detlef Plaisier: Mein Vater hinterließ mir bei seinem Tod 2006 eine Biografie, die Grundlage dieses Buches ist. Er behandelt darin seine Kindheit in Ostfriesland und im Emsland bis zu seiner Einberufung als 16-Jähriger. Ich habe während der Arbeit an dem Buch in Leipzig gewohnt. Ich war also auf Informationen aus dem Internet und Kontakte vom Fehn angewiesen. Ich bin dankbar, dass mich so viele Menschen unterstützt haben.
GA: Haben Sie Westrhauderfehn kennengelernt?
Plaisier: Mein Vater hat Anfang der 1950er Jahre aus beruflichen Gründen Ostfriesland verlassen. Ich bin in Hannover geboren. Ostfriesland kannte ich nur von Besuchen. Doch mein Vater hat immer von seiner Heimat erzählt und sich auch Rituale von dort bewahrt. Ich pflege das Grab meiner Großeltern am Untenende, und es gibt noch lebende Verwandte.
GA: Wie lange haben Sie an dem Buch gearbeitet?
Plaisier: Ich habe mich fünf Jahre nicht getraut, den Text aus dem Nachlass zu öffnen, in der Angst, mich erwarte Unangenehmes; ein Familienbild würde zerstört. Und so war es: Ich erfuhr, dass mein Großvater im Lager Börgermoor gearbeitet hatte, meine Großmutter führte die NS-Frauenschaft. Um das zu verarbeiten, zog ich einen Psychotherapeuten hinzu. Vom Auffinden des Textes bis zur Veröffentlichung sind fast elf Jahre vergangen.
Das Interview führte Marion Janssen
In „Bubis Kinnertied“ geht es um Ihre Familiengeschichte. Wie kam es zu Ihrer Entscheidung, darüber ein Buch zu schreiben?
Der Entschluss ist gereift. Als ich nach dem Tod meines Vaters die Biografie fand, war an eine Veröffentlichung gar nicht zu denken. Ich habe mehrere Jahre den Text nicht angefasst, aus Angst, was mich dort erwarten könnte.
Wie groß ist der Anteil Ihres Vaters, und was haben Sie dazu recherchiert?
Ich habe den Text meines Vaters behutsam sprachlich bearbeitet, aber inhaltlich nichts weggelassen.
Welche Reaktionen haben ihre Recherchen ausgelöst?
Ich erinnere mich an Urlaube während meiner Kindheit in Westrhauderfehn und in Aschendorf beim Bruder meines Vaters, dessen Kriegstagebuch auch Bestandteil des Buches ist. Ich bin zutiefst dankbar für die große Hilfe, die mir zuteilwurde. Ohne die Personen- und Ortskenntnis vieler Fehntjer gäbe es dieses Buch nicht, oder es wäre in weiten Teilen falsch und unvollständig. Zu dem Text meines Vaters gibt es jetzt über 120 Fußnoten, Erläuterungen zu Personen und geschichtlichen Ereignissen und viele Fotos.